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Dreifaltigkeitssonntag, 26./27.5.2024 – Wenighösbach und Vogelsburg

Es braucht ein festes Fundament

Vor dem Hintergrund der biblischen Texte zum Dreifaltigkeitsfest blickte Domkapitular Clemens Bieber bei seiner Predigt am Vorabend in Wenighösbach und am Sonntag auf der Vogelsburg auf den 75. Jahrestag des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Er warnte vor kurzsichtigen Veränderungen im jeweiligen Zeitgeist und erinnerte an den Geist, in dem das Grundgesetz abgefasst ist. Von daher er die Verantwortung: „Als Christen sind wir in besonderer Weise gefordert, uns in diese Gesellschaft einzubringen.“

Die Predigt im Wortlaut:

„Die Mehrheit hat die D-Mark gewählt“, so die Überschrift zu einem Interview mit dem früheren DDR-Oppositionellen Gerd Poppe am vergangenen Donnerstag, dem 75. Jahrestag des Grundgesetztes der Bundesrepublik Deutschland. Die große Mehrheit der Bürgerbewegten in der DDR wünschte die Wiedervereinigung, allerdings wünschten sie sich eine neue Verfassung für das wiedervereinigte Deutschland. Doch die Mehrheit der ostdeutschen Wähler hatte, so die These von Gerd Poppe, nicht die Demokratie, sondern die D-Mark gewählt.

In der Tat gab es jetzt in den Tagen um dem 75. Jahrestag der Verkündigung des Grundgesetzes sehr viele Äußerungen, Beiträge und Kommentare, ob die damals geschaffene Grundlage für das Miteinander der Menschen in Deutschland noch zeitgemäß sei. Mehrfach wurde die Forderung erhoben, das Grundgesetz zwar behutsam, aber doch an den Zeitgeist anzupassen.
Genau das ist der Punkt, der mich nachdenklich macht. Denn ein Grundgesetz hat die Bedeutung, gerade in turbulenten Zeiten oder Krisen ein festes geistiges Fundament und Orientierung zu geben. Es darf nicht in einer ideologischen Kurzsichtigkeit tagesaktuellen Überlegungen oder gar Moden folgen und die Weichen neu stellen.

Ich fürchte, dass fast 80 Jahre nach dem Ende des menschenverachtenden Dritten Reiches und des verheerenden Zweiten Weltkriegs leider vergessen ist, dass das Grundgesetz eine klare Zäsur war nach dem totalitären System zuvor, das über viele Menschen in Deutschland und in ganz in Europa großes Leid brachte. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes, die diese Erfahrung z.T. selbst leidvoll erlebt hatten, haben in der Präambel klargestellt, aus welchem Geist heraus das Grundgesetz abgefasst ist: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen …“ Von daher haben sie die Ehrfurcht vor Gott und die Würde des Menschen an den Anfang gestellt. Damit wird deutlich, dass das Grundgesetz eine klare Abkehr vom Unrecht und eine Hinwendung zur Menschlichkeit war und ist.
Der Mensch steht im Mittelpunkt und dementsprechend auch die Grundrechte, die ebenfalls am Beginn des Grundgesetzes stehen. Ebenso sind dort die Rechtsstaatlichkeit, die Gewaltenteilung und die Demokratie als weitere Prinzipien zu finden. Es ist die Staatsform, die als einzige der Würde und der Freiheit des Menschen wirklich gerecht werden kann.

Wer immer heute fordert, die Bevölkerung über die weitere Gültigkeit des Grundgesetzes abstimmen zu lassen oder gleich eine neue Verfassung zu formulieren, darf die Bedeutung der Artikel 1 und 20 nicht übersehen. Artikel 1 besagt, die Würde des Menschen ist unverletzbar und es ist Aufgabe des Staates, die Würde des Menschen zu schützen und zu achten. Artikel 20 umfasst die Grundprinzipien unseres Staates, nämlich dass dieser ein Rechtsstaat, eine Demokratie und ein föderaler Staat ist.

Immer wichtiger erscheint mir die Herausforderung, die Menschen in unserem Land – von dem immer mehr vom „Freizeitpark Deutschland“ sprechen – zu gewinnen, damit sie sich für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für die Grundrechte von Menschen, für die Würde von Menschen einsetzen. Das zeigt sich in der Beteiligung an Wahlen, im Engagement für Parteien, die diesen Staat stützen und Recht, Ordnung und Demokratie mittragen. Ebenso im bürgerschaftlichen, also ehrenamtlichen Engagement in Gesellschaft, Vereinen und Kirche.

Als Christen sind wir in besonderer Weise gefordert, uns in die Gesellschaft einzubringen. Das Grundgesetz ist zwar bewusst religionsoffen gestaltet und gibt die rechtliche Grundlage für Vielfalt in der Gesellschaft. Doch der Geist, in dem das Grundgesetz abgefasst ist, ist getragen vom jüdisch-christlichen Gottes- und Weltbild. Und das Menschenbild, das der Verfassung zugrundliegt, ist wesentlich geprägt von der christlichen Überzeugung des Menschen als Geschöpf Gottes.
Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben sich gegen eine strikte Trennung von Kirche und Staat entschieden. Die Kirchen- oder Religionsartikel machen deshalb deutlich, dass Religiosität und religiöse Gemeinschaften gewollt sind, weil sie eine wichtige Bereicherung für das gesellschaftliche Leben und den gesellschaftlichen Zusammenhalt darstellen.

Insofern sind wir als Christen in besonderer Weise gefordert, uns in die Gesellschaft einzubringen und den Staat mitzutragen. Er gibt den Rahmen, dass wir uns als Christen engagieren und entfalten können. Die Sonntagsruhe, die sogenannten „stillen Feiertage“, der Schutz für Ehe und Familie, der Religionsunterricht, die freie Religionsausübung – das sind Werte, die die verbindende Grundlage für das Miteinander in der Gesellschaft stärken. All das ist heute in Gefahr, aufgegeben zu werden.

In einer Zeit, in der vor allem das Ich und der Einzelne in bedenklicher Weise betont werden, so dass das Miteinander und die Verantwortung füreinander nicht mehr gesehen werden, gilt es, die verbindende Grundlage zu betonen. Damit einher gehen die um sich greifenden nationalstaatlichen Tendenzen. Diese haben scheinbar vergessen, warum insbesondere Christen nach dem Zweiten Weltkrieg daran mitgewirkt haben, völkerverbindende Strukturen zu schaffen wie mit den Vereinten Nationen oder der Europäischen Union. Diese Vergessenheit ist für mich eine der Ursachen für die immer schlimmere Gewaltbereitschaft im Großen wie im Kleinen, im unmittelbaren Zusammenleben.
Deshalb darf die Entscheidung für die Grundlage unseres Volkes nicht nur eine ökonomische sein, oder wie es in dem eingangs zitierten Interview hieß: „Die Mehrheit hat die D-Mark gewählt“.

Die Lage rings um den Erdball gleicht derzeit einem Pulverfass, in das täglich weiterer Sprengstoff gerät. Da erscheinen die den Menschen und eine menschenwürdige Zukunft betreffenden Themen aus dem Bereich der Ethik und der Moral eher Randnotizen zu sein, die schnell zu der Antwort führen: Das ist doch gleich bzw. alles gleich gültig.

Wenn wir am Sonntag nach Pfingsten das Dreifaltigkeitsfest feiern, dann bringen wir die für unser Leben und unser Handeln entscheidenden Grundsätze auf einen kurzen, knappen Nenner:

Wir glauben an Gott

  • als den Schöpfer der Welt, der alles Leben in seinen guten Händen hält,
  • der in Jesus seine grenzenlose Liebe deutlich gemacht hat, der sogar Leben über den Tod hinaus will,
  • und der uns durch seinen Geist führt und leitet, damit wir zu einem erfüllten Leben und letztlich zur Vollendung in IHM gelangen.

Das Bekenntnis zum dreifaltigen Gott ist eine Grundsatzentscheidung, die – wenn sie uns wichtig ist – konkrete Konsequenzen nach sich zieht:

  • Der Glaube an den Schöpfer lässt uns nicht nur das Leben als Geschenk und Gabe Gottes erkennen, wofür wir dankbar sind, sondern macht uns auch unsere Aufgabe und unsere Verantwortung vor IHM bewusst.
  • Der Glaube an die Liebe des in Jesus menschgewordenen Gottes weitet uns den Blick für den Menschen und schenkt uns eine tiefere Sicht für seinen Wert und seine Würde und ist Maßstab für unseren Umgang mit dem Leben in all seinen Phasen.
  • Der Glaube, dass Gott unserem Leben Sinn und Zukunft gibt, dass ER uns durch seinen Geist den besten Weg zum Leben führt, dass ER uns immer wieder aufrichtet und ermutigt, – dieser Glaube bestärkt uns und gibt uns Kraft und Zuversicht, Vertrauen und Hoffnung und ist uns gleichsam Motor in all unserem Tun.

Der Glaube ist also die entscheidende Grundlage für unser Leben und unser Handeln.
In der Lesung aus dem Buch Deuteronomium wurden wir an den Exodus erinnert, an die Befreiung aus der Knechtschaft des pharaonischen Systems, das den Menschen verzweckt hatte. Da heißt es: „Daher sollst du auf seine Gesetze und seine Gebote … achten, damit es dir und deinen Nachkommen gut geht …“
Und Jesus hat diese Weisung mit seinem Leben verwirklicht und gibt auch seinen Jüngern den Auftrag: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.“
Das „Be – folgen“ der Lebensbotschaft Gottes ist entscheidend für das „Glücken“ des Lebens!

Es geht um die Konsequenzen des Evangeliums für die sozialen, ökonomischen und politischen Strukturen und damit um die Rahmenbedingungen für das Gemeinwohl. Es geht um die Humanisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Deshalb genügt es nicht, für Tugenden zu plädieren. Vielmehr ist wichtig, sie politisch entsprechend zu gestalten. Darum verpflichtet die katholische Soziallehre die Kirche und die Christen, ein politisches Wächteramt auszuüben.

Christen wollen mehr als nur einzelne Antworten geben. Aufgabe von Christen ist es, den Glauben an den dreifaltigen Gott zu verkünden. Deshalb erinnern wir daran, dass Gott der Herr der Welt und des Lebens ist, dass die Liebe Jesu zum Leben Maßstab für unser Handeln ist und dass es darauf ankommt, uns dem Geist zu öffnen, damit wir in all den vielen Fragen und Herausforderungen des Lebens zu guten Lösungen zu finden.
Es muss um mehr gehen als um die Interessen Einzelner. Es geht uns Christen um die geistige Grundlage des Lebens und des Zusammenlebens.
Deshalb ist es zunächst not – wendig, dass wir selbst als überzeugte Christen leben und wirken und so Weichen stellen für die weitere Entwicklung einer friedvollen und menschenwürdigen Zukunft unseres Landes, Europas und der Welt, damit sie uns immer weniger Angst und Sorge macht. Auch der 75. Jahrestag des Grundgesetzes mahnt dazu: „In Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt … dem Frieden in der Welt zu dienen.“

Wo wir im Glauben an IHN leben und aus diesem Glauben heraus entscheiden und handeln, gilt seine Zusage: „Seid gewiss, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Dann braucht uns die Zukunft nicht zu ängstigen, denn dann wird es menschliche, gerechte und lebensbejahende Lösungen geben.

Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de

Text zur Besinnung

Dreifaltiger Gott

Dreifaltig EINER,
Vater, Sohn und Geist.
Liebe, die uns leben lässt.

Lebendige Beziehung,
anziehendes Leben,
das uns einlädt
zur Gemeinschaft.

Leben in deinem Geist
führt uns zusammen,
hält uns in der Spur Jesu,
damit wir
auf unserem Weg zum Vater
die Welt gestalten
nach deinem Willen,
dreifaltiger Gott.

(Autor unbekannt)